













Zwischen Emscher und Tetraeder sieht man 4 große ovale Türme aus der kargen Oktober-Landschaft ragen. Sie übertrumpfen so manch benachbarte Baumkronen und gehören schon längst zur Bottroper Skyline: Die Faultürme der Emschergenossenschaft. Sie tronen auf dem Geländer der Kläranlage und sind „die schönsten in ganz Deutschland“, schmunzelt der Mann, auf dessen weißen Helm der Name Dr. Günther zu lesen ist. „Haben Sie die schon mal bei Nacht gesehen? Das kann nur von München getoppt werden, wenn überhaupt“, fügt er hinzu. Doch bald werden Bottrops „Eier“ einer neuen Superlative Platz machen, denn unweit von hier entsteht die größte solarthermische Klärschlammtrockung der Welt. Auch wenn groß hier nicht hoch, sondern breit meint, ist die Fläche der Anlage beachtlich. Auf einem Gelände, welches mehr als 8 Fußballfelder beheimaten könnte, wird zurzeit eine einmalige Schlammtrocknungsanlage gebaut, die modernste Technologie und emissionsreduzierte Verfahren vereint. Hier wird Schlamm aus den umliegenden Kläranlagen getrocknet, verbrannt und so in Strom umgewandelt. Was historisch bedingt lange Teil der Stein- und Braunkohlewirtschaft war, wird hier heute ohne Verbrennung fossiler Stoffe durchgeführt und erzielt dadurch eine Einsparung von so viel Volumen an C02-Emission, dass man damit 10.000 Mal das Schwimmerbecken im Grugabad befüllen könnte.
Dr. Lars Günther ist Betriebsleiter der Bereiche Kläranlage, Schlammentwässerung und solarhermische Trocknung. Er erklärt uns das Verfahren zur Ernergiegewinnung und geht mit uns den Weg des Schlamms.
Wir blicken auf ein grob verputztes Gebäude, die Schlammlogistikhalle. „Zur Grundsteinlegung gab es ein kleines Fest – das war noch vor Corona. Ein kleiner Empfang mit Schnittchen, Pavillon und einem Ausstellungsstück eines Wühlschweins“, erinnert sich Günther. „Das war übrigens der 31.10.2019“, weiß er genau. Seither ist viel passiert. Vor Baubeginn musste einiges an Vorkehrungen getroffen werden, denn um ein Gebäude von rund 60.000 qm zu tragen, bedarf es einer Verbesserung der Tragfähigkeit des Untergrundes. Zudem musste Oberboden abgetragen und Altlasten aus den 70er Jahren beseitigt werden.
Heute können wir die Anlage begehen und folgen dazu dem halb abgedeckten Förderband, welches über das Gelände rein in die betonierte Halle führt. Das graue Bauwerk ist sehr großräumig angelegt, damit auch große Maschinen, wie Radlader, hier fahren und wenden können. Nachdem LKWs den noch nassen Schlamm hier anliefern, wird er zuerst in die benachbarten Trocknungshallen verteilt. „Die werden gerne fälschlicherweise als Gewächshaus bezeichnet, dabei wächst hier gar nichts. Dennoch passiert in diesen Hallen ziemlich viel“, erklärt der promovierte Bauchingenieur. In den insgesamt 32 Hallen, die wegen ihrer gläsernen Wände und Decken tatsächlich an ein Gewächshaus erinnern, wird der Schlamm getrocknet. Hier kommen die sogannten Wühlschweine zum Einsatz. Diese elektischen Wenderoboter wühlen sich je nach Hallengröße einzeln oder zu zweit kreuz und quer durch die feuchte Schlammmasse und sorgen so für eine stetige Umwälzung des Schlamms. „Jedes Wühlschwein bekommt seinen eigenen Namen“, verrät uns Dr. Günther, aber bis dato sind die insgesamt 40 Wenderoboter nicht getauft. Sie stehen noch sauber und verpackt in den leeren Hallen, bereit für den Einsatz. Dann sorgen sie innerhalb von 7 Tagen für eine Reduzierung der Feuchtigkeit von etwa 75 %. Für eine schnellere Trocknung wird zusätzlich zur Solarenegergie Wärme benötigt – etwa so wie beim Bügeln, wenn man die Wasserdampffunktion nutzt. In diesem Fall wird eine Mischung aus der eigenen Hitze aus der Verbrennung und mehreren Erdgasheizungen verwendet. Was passiert aber mit der entweichenden Feuchte in den Hallen? Diese wird von über 160 großen Abluftventilatoren abtransportiert und durch einen Säurewäscher geleitet. Nachdem dieser chemische Prozess die Luft von Giftstoffen befreit, entfernt der Biofilter den Luftstrom anschließend von jeglichen Geruchsstoffen. Dazu wird Rindenmulch verwendet, welcher zwar einen gewissen Eigengeruch hat, der aber nach einiger Zeit verblasst. Und der Schlamm? Nach der Trocknungsphase in den gläsernen Hallen bringen die Radlader den Schlamm weiter auf Schubböden. Von hier wird er zu einer Förderschnecke geschoben, welche den Schlamm zerkleinert. So erlangt der Schlamm eine Konsistenz von Schüttgut, etwa so wie Sand oder Kies, die sich für den Transport raus aus der Halle, auf dem Förderband in Richtung Verbrennung eignet. „Die Verbrennung ist allerdings ein Sensibelchen“, erklärt uns Dr. Günther. Die Konsistenz des Schlamms ist zu klebrig, um ihn direkt zu verbrennen. Würde man den Schlamm in dieser sogenannten Leimphase verbrennen, bräuchte man irrsinnig viel Ernergie, um den Ofen zu kühlen. Für den perfekten Heizwert muss der getrocknete Schlamm daher mit einem bestimmten Anteil an feuchterem Schlamm angereichert werden, kurz bevor es in den Verbrennungsofen geht.
Und das ist der Weg des Schlamms. „Das Verfahren ist gar nicht so kompliziert, die Größe macht die Anlage einzigartig“, fasst Dr. Günther zusammen, der heute noch von den Dimensionen überwältigt ist. „Es ist echt riesig“, findet Günther, „das haben auch die Bewerber gesagt, die sich ihren potentiellen Arbeitsplatz angeschaut haben“. Für das Team wurden sechs Radladerfahrer, ein Mechatroniker und eine halbe Laborkraft neben Ingenieursdoktor Lars Günther rekrutiert. „Das ergibt eine perfekte Ergänzung der Kompetenzen“, so Günther, „der Meister ist dicht an den Maschinen aber auch an den Leuten und ich als Ingenieur kenne mich mit dem Prozess aus“.
„Hat Corona den Bau der Anlage irgendwie beeinflusst?“, fragen wir den Betriebsleiter. „Zum Glück nicht wirklich. Es gab eine kleine Verzögerung, weil Material aus Italien angeschafft wurde, aber das konnte schnell behoben werden“, berichtet Günther.
Wir gehen den 240 m langen Flur zwischen den Trocknungshallen entlang und kommen auf dem Weg in Richtung Ausgang noch an der Werkstatt und dem Schwarz-Weiß-Bereich für die Mitarbeitenden vorbei. Dieser Anbau beinhaltet außerdem einen Sozialraum und das Meisterbüro. An der frischen Luft, wo ein uns ein kühler Nieselregen begrüßt, passieren wir das große Trocknungspakett und den aufgeschütteten Rindenmulch. In unseren Sicherheitsschuhen verlassen wir die Baustelle über die geteerten Verkehrswege. Dr. Günther freut sich auf den Start und fiebert auf die Inbetriebnahme hin, welche für Ende 2020 geplant ist.